Portugal

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Portugal

 

Die erste Nacht

Ich musste damals einfach gehen, mir blieb nicht wirklich die
Wahl. Das Leben in Oldenburg war zu rasant, zu verbindlich,
zu greifbar.

Wäre ich geblieben, hätte ich meine Launen unterdrückt, die
Zähne zusammengebissen und den bitteren Speichel
geschluckt, würde ich vermutlich noch immer meine Tage dort
ableben, auf der ewigen Suche nach etwas, das direkt vor
meinen Augen liegt.
Es war kein schlechtes Leben, im Gegenteil.
Zum ersten Mal hatte ich etwas gefunden, das mit einer Heimat
vergleichbar wäre und noch heute denke ich an Oldenburg, wie
man seiner Heimat gedenkt, mit Verbundenheit und Schwermut.

Nach einer langen Zeit in Gefangenschaft stand ich endlich
wieder auf eigenen Beinen, doch wusste ich nicht so recht,
was ich mit dieser Freiheit anzufangen hatte.
Damals war ich noch ein anderer Mensch, einer der unbändige
Neugier an Menschen fand, der weite Kreise zog, um alle zu
umfassen, aber auch ein Wanderer zwischen den Kreisen der
anderen.
Freundschaft war das Wichtigste.
Gespräche am Abend, in den Küchen der Wohngemeinschaften, junge Leute, die laut lachten, vieles wollten, doch
wenig taten. Ich tat meist gar nichts, außer tagsüber bekifft
vom Leben zu träumen, so dass in den Nächten nichts mehr
blieb, von dem ich träumen konnte.

Ich verbrachte jeden Schlaf
in tiefster Dunkelheit. Auch um mich herum drehte sich alles
mehr oder weniger darum, so tief wie möglich in den Nebel
einzutauchen, sich lieber darin zu verlieren, als ihn endlich
einmal zu lichten und zu sehen, wo man steht.
Doch es ist ungerecht so über Oldenburg,
so über die Oldenburger zu sprechen.
Es leben dort die wundervollsten Menschen, mit denen ich je
das Vergnügen hatte. Menschen, die mich aus dem Exil
Seefahrt gelockt hatten und herzlich in ihre Mitte nahmen,
die feste Bande mit mir knüpften und mich in der Welt der
Menschen wieder verankerten.
Die meisten Verbindungen, so fest sie auch waren, sind heute
gekappt, was im Grunde nur an meiner Unfähigkeit liegt, einen
Fuß in der Türe zu halten, wenn ich mich einmal entschlossen
habe zu gehen. Ich lasse ungern Teile von mir zurück.
Hannah hatte sich endlich von mir gelöst, von meiner Prüderie,
meiner heillosen Romantik, sie war mir in ihrer Entwicklung
um Jahre voraus und ich konnte nicht dort bleiben, wo sie mich
stehen ließ. Ich musste mir klar werden, was ich suchte, was
ich floh, und im Grunde war, hier und da, alles gesagt, alles
getan.

Ich wollte mich nicht mehr in Worte hüllen, ich wollte die
Worte ablegen, wollte nicht mehr schreiben, wollte endlich
wieder zuhören. Ich wollte damit aufhören in mir selbst nach
Schmutz zu wühlen und damit anfangen, mich selbst nur noch
im Spiegel der Natur zu betrachten.

So entschloss ich mich also, alles bisherige hinter mir zu lassen.

Mein Gepäck war schlicht und schmucklos.
Eine Gitarre, eine Trommel, ein Paar Wechselklamotten, ein
Feldspaten, ein Handbeil, ein Schlafsack, ein Miniwörterbuch,
ein Kochtopf, einen Becher aus rostfreiem Stahl.
Irgendwie hatte ich es geschafft siebenhundert Mark
zusammenzukratzen, die Hälfte davon investierte ich in eine
Busfahrkarte nach Porto. Der Rest musste annähernd fünf
Monate reichen.

Fliegen wollte ich um keinen Preis, wollte nicht aus dem Leben
springen, wollte den ganzen, langen Weg mit meinen Sinnen
erfahren.

Die Verabschiedung war herzlich, kurz und bündig.
Danach blieb die Zeit nahezu stehen.
Schon als ich in den Bus stieg, hatte ich Deutschland quasi
verlassen, denn obwohl wir noch kreuz und quer durch die
Republik fuhren, um weitere Reisende aufzunehmen, blieb ich
der einzige Deutsche an Bord. Die Stimmung war heiter und
ausgelassen, ganze Familien stiegen ein und unterhielten sich
rege in dieser seltsamen Sprache, die wie Wellen in einem
Teich klang, deren Wörter einfach silbenlos ineinander flossen.
Die Fahrt dauerte 35 Stunden, die mir wie 35 Wochen
vorkamen.

Wir fuhren und fuhren und fuhren, über Belgien, Frankreich, Spanien.

Neben mir saß ein etwa 20 Jahre junger Portugiese,
ich glaube er hieß Pedro, oder Sandro, der unweit von Porto seine Familie
besuchen wollte und sehr gutes Englisch sprach.
Als er von meinem Vorhaben hörte allein, von Porto, fast ohne Geld,
völlig ohne Angst und Ahnung zur Südküste zu reisen, pfiff er
anerkennend durch die Zähne und schüttelte ablehnend den
Kopf. Man könne nicht in Porto am Strand schlafen, ob ich mir
dessen im Klaren sei.

Offensichtlich war ich das nicht, doch ich zuckte
beschwichtigend mit den Schultern und setzte mein frechstes
Lächeln auf, was ihn dazu brachte laut und herzhaft zu lachen.
Ich sei ja nun in Portugal, und es gehe nicht an, dass ein
Portugiese, ob grün oder grau hinter den Ohren, einen
Menschen, der sich für sein Land begeistere, ins offene Messer
laufen liese, ich würde bei ihm Schlafen, da gebe es kein
Vertun.

Es dauerte viele Kilometer, bis wir zu einer Einigung kamen.
Er würde mich, von seinem Bruder, der ihn am Busbahnof
abholen würde, stadtauswärts in den Vorort fahren lassen. Dort
gäbe es einen wundervollen Strand an dem ich wenigstens die
erste Nacht einigermaßen unbeschadet überstehen könnte.
Das erste, was ich, dort angelangt, tat, war mir eine Flasche
Mateus Rose zu besorgen (ein schreckliches Gesöff, das ich auf
einer meiner früheren Reisen schon einmal in verzückter
Verzweiflung an einem namenlosen, portugiesischen Strand
getrunken hatte) und ging damit hinunter zum Meer.

Durch Pedros, oder nicht Pedros, warnende Worte doch ein
klein wenig verunsichert, grub ich zuerst ein halbtiefes Loch
und vergrub mein ganzes Gepäck darin, schaufelte es zu und
nahm zur Orientierung eines der kleinen Fischerboote, das
gleich neben meinem Platz auf dem Strand lag, unvertäut.
Alles war wie aus meinen Träumen.

Der Himmel lag klar und weit vor mir, das Meer spielte seine
sehnsuchtsvolle Melodie, links und rechts von mir lagen die
Fischerboote, wie gestrandete Wale im Sand und mit jedem
Schluck des dünnen und sauren Weins, den ich wie eine
unverschämte Köstlichkeit genoß, senkte sich ein Nebel des
Schweigens und Vergessens über mich nieder.
Der nahezu volle Mond schaute von oben herab und nickte mir wohlwollend zu.

In den frühen, dunklen Morgenstunden wurde ich von Regen
geweckt. Der Schlafsack war schon völlig durchnässt und ich
fror. Eine dichte Wolkendecke verbarg den Mond und so betrug
die Sicht nur wenige Meter.
Hier konnte ich nicht bleiben.

Das Gepäck war ja gut versteckt und so nahm ich nur schnell
den triefenden Schlafsack, den Spaten, sowie die leere Flasche
Wein und machte mich verschlafend auf zur Promenade.
Kaum achthundert Meter entfernt fand ich eine noch verlassene
Baustelle, in der ich mich unterstellen und in Ruhe auf die
Dämmerung wartend, die nächsten Schritte planen konnte.
Natürlich hatte ich auch keine Uhr mit auf die Reise
genommen, wer braucht schon einen Zeitmesser, wenn er das
Zeitlose sucht?

Gottlob war mein Tabak trocken geblieben und so saß ich
zwischen Betonsäcken und Ziegelsteinen, rauchte mich nach
und nach ins Bewusstsein zurück.

Als es zu dämmern anfing lief ich zum Strand zurück, hatte
wenig Lust in Gebärden zu erklären, was ich auf dieser
Baustelle zu suchen hatte.
Der Regen hatte mittlerweile etwas nachgelassen.
Am Strand traute ich meinen Augen nicht.
Das Boot war nicht mehr da.

Der ganze Strand war voll von Leuten, Fischer, welche die
Boote mit Netzten beluden und in Gruppen, zu viert und fünft,
sich daran machten, die schweren Holzkähne ins Wasser zu
schieben. Mein Boot, das kleine Rote mit dem schwarzen
Rand, war nirgends zu sehen. Zahlreiche Spuren führten
hinunter zum Meer, neben einer davon musste mein Gepäck
begraben liegen. Ich wusste mir nicht recht zu helfen.
Fragen konnte ich nicht, mein Wortschatz betrug haargenau
zwei Worte: Ola´und Obrigado.

Angenehm war es nicht, doch ich wollte nicht länger untätig im
Nieselregen stehen, also machte ich mich daran, aus nächster
Nähe von den Fischern beäugt, mit meinem kurzen Spaten den
langen Strand umzugraben.
Zuerst hielten die Fischer in ihren Booten inne und schauten
stumm und verwundert diesem wundersamen Trottel zu, der
noch vor der Sonne an den Strand kam, um Piratenschätze,
oder was auch immer zu suchen. Doch nach und nach löste sich
ihre Starre, und als sie bemerkten, dass ich ihre Zurufe nicht zu
erwidern gedachte, gingen sie achselzuckend ihrer Arbeit
wieder nach, nicht ohne hin und wieder kopfschüttelnd in
meine Richtung zu spähen.
Ich grub und grub.

Mal hier, mal dort, mal kopflos, mal überlegt, mal verzweifelt,
mal hoffnungsvoll. Es zog sich eine ganze Weile hin, und die
Fischer hatten schon fast ihr Interesse an mir verloren,
als ich endlich auf etwas stieß. Die Trommel!
Schnell holte ich sie aus dem Sand, wischte sie flüchtig ab und
begann einen Rhytmus darauf zu schlagen.
Aus den Fischerbooten erklang lautes Gelächter und Jubelrufe,
alle wandten sich mir zu und klatschten in die Hände.
Auch ich musste herzhaft lachen.
So was beklopptes, hatten wir alle wohl noch nicht gesehen.
Dies war das Ende meiner ersten Nacht in Portugal,
der Beginn meines ersten Tages in ihren liebevollen Armen.

 

Nächste Wochen

Was danach geschah, lässt sich nur schwer in eine zeitliche
Reihenfolge bringen, lässt sich im Grunde nicht erzählen.
Noch immer noch im Unklaren, weshalb ich ausgerechnet in
dieses Land aufgebrochen bin, wurde ich mir der Klarheit
meiner inneren Stimme immer bewusster.

Portugal, sie (sie muss eine Sie sein, bei all dieser Nähe und Wärme)
nahm mich vom ersten Moment an rückhaltlos auf,
gab mir Sicherheit und Gewissheit, dass ich mich genau zur
richtigen Zeit am absolut richtigen Ort aufhielt.

Der Regen der ersten Nacht sollte für lange Zeit der letzte
bleiben.

Ziel war es so sorglos und gemütlich wie möglich die Küste
südwärts zu reisen, in die Algarve, genauer nach einem Ort, der
den wohlklingenden Namen Corçitos trug und auf keiner
meiner Karten verzeichnet war. Alles, was mich dorthin leiten
konnte, war eine gekritzelte Zeichnung mit unleserlichen
Ortsnamen und krakeligen Vierecken, die wohl Häuser
darstellen sollten. Kathrin, deren verstorbener Vater dort vor
langer Zeit ein Haus erwarb, hatte mir diese in betrunkenem
Zustand auf ein Butterbrotpapier geschmiert, als ich ihr von
Portugal erzählte.
Korrssitosch…

Doch bis zur Dechiffrierungdieser Karte, blieb noch Zeit.
Zuerst wollte ich mich akklimatisieren, wollte die trockene,
heiße Luft atmen und die langen, sternenschweren Nächte
trinken.

Wie ging es an, dass hier alles so grün war, wo selbst die Nacht
es kaum schaffte, das Land abzukühlen und am frühen Morgen
schon wieder Temperaturen von über zwanzig Grad
herrschten?

Von Porto aus nahm ich den Zug aus der Stadt, ein Ticket
kostete um die 120 Escudos, eine Mark und zwanzig, und fuhr
so lange, die Beine aus der offenen Türe baumelnd, in
doppeltem Schritttempo durch die Landschaft, bis ich eine
Stelle, nah an Wasser fand, die mir auf Anhieb gefiel.
Dort stieg ich dann am nächsten Bahnhof aus und lief an den
Gleisen entlang zurück, bis ich sie wiederfand.
Wasser war mehr wert als Gold.

Wann immer ich an einem Wasserhahn oder Brunnen
vorbeikam, füllte ich alle Flaschen, die ich hatte, randvoll,
ohne mich zu fragen, ob es denn überhaupt trinkbar war.
Es war Wasser, und ohne es würde ich keine zwei Tage in der
Wildnis überleben. So wog das leichte Gepäck, das ich mit mir
trug immer schwer und lästig, doch daran war nichts zu rütteln.
Das nächste Problem waren Nahrungsmittel.
Alles Geld, das ich mit mir trug, hatte ich in Porto gewechselt,
und da man, vom deutschen Standpunkt aus gesehen, die
Barschaft einfach mit hundert multiplizieren musste, um die
gleichwertige Menge in Escudos zu errechnen, kam mir der
Inhalt meines Bauchgurtes ziemlich prall vor.
Doch ich wusste natürlich, dass der Anschein täuschte, dass ich
mich jedem Schein, der meine Taschen verließ, den lauernden
Hunger nährte.
Also hielt ich alles so gut wie es ging beisammen.

Und es ging erstaunlich gut.
Trotz des Reisens, trotz Tabak und gelegentlichem Landwein,
kam ich später auf einen Mittelwert um die 2 Mark pro Tag.
Mehr brauchte ich nicht, um zu leben, und wenn es dabei
bliebe müsste ich mir in nächster Zeit keine Sorgen machen.
Eine typische Mahlzeit bestand aus einer Handvoll Kartoffeln
oder Reis mit Bohnen, die ich meist in irgendwelchen
stockdüsteren Hinterräumen von Küchengeschäften
irgendwelchen wetter- und altersgegerbten Frauen für eine
halbe Handvoll Münzen abkaufte.
Zuerst ging es noch außerordentlich schlecht.
Ich deutete auf etwas, dass in diesen schattendurchfluteten
Kämmerchen irgendwie genießbar wirkte und zählte an den
Fingern die gewünschte Menge ab. Zwischen den
unbeholfenen Gesten murmelte ich Worte des Dankes, auf
englisch, deutsch und portufriesisch in meinen allmählich
dichter werdenden Bart. Allen Gegenfragen begegnete ich mit
hastig hingeworfenen „si“ und „bom“ oder mit Nicken und
Schütten des Kopfes. Am Ende eines solchen „Gesprächs“
lächelte man sich ratlos, aber milde an und ging schleunigst
seiner Wege.

Später ging ich dazu über Zettelchen zu schreiben, kleine, aus
meinem Notizbuch gerissene Blätter, auf denen ich mühsam
kurze Sätze mit den notwendigen Informationen aus meinem
Wörterbüchlein konstruierte, in der Hoffnung, den Grundregeln
der Grammatik zunehmend auf die Spur zu kommen.
Doch außer dem Spaß, den es mir bereitete, neue Vokabeln
kennenzulernen, half mir das im rudimentären Austausch mit
der Bevölkerung kaum weiter.
Denn natürlich konnten die geduldigen, alten Damen kein Wort
in meinem „Akzent“ verstehen, was nicht an ihren Ohren lag,
und natürlich waren die Kämmerlein noch immer stockfinster,
so dass es nicht half mit den Fingern auf den jeweiligen Satzt
zu deuten, was an ihren Augen und dem schlechten Licht lag,
zum Verlassen dieser Höhlen waren sie nicht zu bewegen,
schließlich sei ja gerade Siesta, oder so…

Es half alles nichts.
Ich musste die Sprache lernen.
Doch Sprachen lernt man nicht auf Schulen, nicht aus Büchern.
Man lernt sie von den Menschen, indem man mit ihnen spricht.
Und die ersten Wochen und Monate kapselte ich mich, bis auf
das nötigste, vollkommen von der Zivilisation ab.
Nach und nach verlor ich das Gefühl, wie es ist, in deutsch und
englisch zu sprechen zu denken, zu fühlen.
Nach und nach verlor ich meine Stimme und begann der
Stimme der Natur zu lauschen, sie in meinem Inneren zu hören.
Die nächste, unbedingte, tägliche Notwendigkeit war Energie.
Rohe Kartoffeln wollte ich nicht essen, gelegentlich eine Tasse
Tee war auch nicht zu verachten, genausowenig wie ein kleines
Licht in dunklen Nächten und so blieb nur die erste und letzte
Quelle nutzbarer Lebensenergie.
Feuer.

Stellt man sich irgendwo im Landesinneren von Portugal
mitten in die Landschaft und schaut man sich dort ausgiebig
um, so wird man nicht gerade vom Anblick hoher, mächtiger
Bäume überwältigt. Bäume, geschweige denn Baumgruppen,
waren immer eine reine Seltenheit.

Doch anders als in der spanischen Sierra Nevada, die in etwa
auf derselben geografischen Breite wie die Algarve liegt und
die ich später auf meiner Reise noch besuchen sollte, mangelte
es mir während der gesamten Zeit in Portugal, auf meinem
Weg durch Länge und Breite dieses wunderschönen Landes,
nicht einen Abend oder Morgen lang an Feuerholz.
Immer lag Trockenholz in nächster Nähe meines Lagers.
Alles, was ich tun musste, war in der aufkommenden
Dämmerung durch die Landschaft zu wandern und pfeifend
hier und da ein paar Äste von Sträuchern und Hecken
aufzuklauben, bis ich, des Wandern und Pfeifens überdrüssig,
mich wieder auf den Rückweg machte.
An manchen Tagen hatte ich gar das Gefühl, von versteckten,
neckischen Erdgeistern umwuselt zu werden, die verspielt und
verstohlen kichernd, hier und da vereinzelt Stöcker und
Stöckchen um mich herum auswarfen und einen Heidenspaß
dabei haben.

Also gab es immer Feuer, immer Wasser, immer Sonne, immer
Tau, immer eine sternenklare, laue Nacht und immer einen
neuen, gut gelaunten, nächsten Tag.
In mir wuchs die Gewissheit, dass im selben Maß, indem ich
aufhörte mir Sorgen zu machen, die Welt sich um mich sorgte,
mich umsorgte.
Mittlerweile war ich ein gutes Stück vorangekommen, mit
Zügen und Bussen, aber es kam auch immer wieder vor, dass
ich am Morgen meinen Rucksack schulterte und geradewegs
ins Grüne lief, Straßen und Wege meidend, bis sich in meinen
Füßen leichte Müdigkeit regte.

Manchmal ging ich in einem See baden, häufig kam ich an
öffentlichen Brunnen vorbei, die regelmäßig verteilt, mitten in
der Landschaft lagen und deren Wasser kühl und glasklar aus
der Tiefe durch die Handpumpen floss.
An diesen Brunnen schöpften schon seit Jahrzehnten die
umliegenden Bauern und Dörfler ihr Wasser, deren Häuser
meist nicht an ein urbanes Wassernetz angeschlossen waren.
Hier wurde ich nicht selten in ein herzliches Gespräch
verwickelt, dass meine Neugier an der Sprache belebte, auch
wenn ich erst drei Handvoll Worte kannte.
Doch immer blieben die Menschen freundlich und interessiert,
nie war einer ob meiner zerlumpten Gestalt erstaunt oder
empört, manches Mal hörte ich die Neugier über meine
Dreadlocks aus den Stimmen der Leute, welche die forscheren
unter ihnen mit ihren Händen einer ausgiebigen Untersuchung
unterzogen. Nie fragte mich einer, aus welchem Land ich
stamme. Für sie war ich mehr Mensch, als Bürger.

Man trennte sich in gegenseitiger Achtung mit guten
Wünschen, und das missbilligende Kopfschütteln, die kritische
Miene der deutschen Dörfler war bald nicht einmal mehr das
verklingende Echo einer verstummten Erinnerung.
Der erste Ort, an dem ich mehrere Tage am Stück verbringen
sollte, war ein winziger Punkt auf meiner Karte und hörte auf
den Namen „Villa Verde“.
Dies waren nun zwei Worte, deren Bedeutung mir bekannt war.
„Dorf“ und „grün“.
Es klang poetisch und verlockend.

 

Villa Verde

Villa Verde war genau so, wie ich es mir gewünscht hatte.
Der Bahnof (ich kam mit dem Bummelzug) lag direkt an der
schmalen Landstraße und war kaum mehr als ein kleines, vom
Wetter gezeichnetes Häuschen, in dessen Schatten gelegentlich
ein Schaffner saß, der sich nicht recht dazu aufraffen konnte
mit einem kurzem Reisigbesen den Bahnsteig abzufegen.
Auf der Hinterseite des Gebäudes befand sich ein kleines
Waschbecken mit einem Wasserhahn, der mir in den nächsten
Tagen den Wasservorrat sicherte.
Ich kam nicht weit von Bahnhof, denn direkt gegenüber, ein
kurzes Stück die Böschung herauf, lag ein verlassenes, halb
zerfallenes Haus, wie ich es auf meiner Reise noch öfter
anfand.
Um die Ruine herum streckte sich ein großer, unverzäunter
Garten mit Feigen und Olivenbäumen und vor dem ehemaligen
Hauptraum, alle Räume hatten nur noch morsche Reste von
Türen aufzubieten, lag eine vermutlich ehemalige Scheune,
deren Dach komplett verschwunden war und dessen Mauern,
auf einer Seite eingestürzt, eine Art offener Vorhof bildeten.
Dieser Ort war nach allen Seiten hin gut sichtgeschützt, und
sollte die nächsten Tage mein Zuhause werden.
Das eigentliche Dorf, eine Siedlung von etwa zehn bis fünfzehn Häusern,
sowie der obligatorischen Kneipe, lag weiter
östlich einen ausgetretenen Pfad entlang, weit genug, um nicht
von den dortigen Bewohnern gestört zu werden, weit genug,
um nicht Sie mit meiner Anwesenheit zu stören.

Auf der Straße, die kaum zwanzig Meter von hier entfernt lag,
fuhren nur hin und wieder ein paar einsame Autos vorbei, in
nächtlichen Stunden war sie wie ausgestorben.
Dies war mein Garten Eden.
Der Feigenbaum trug Früchte, doch sie waren noch nicht ganz
reif, immer wieder ging ich hinüber um in seinem Schatten
Gitarre zu spielen und Ausschau nach essbaren Früchten zu
halten.

Ein Stück weiter die Landstraße hinunter lag ein windschiefes
Haus, an dessen der Straße zugewandter Seite ein Schild hing:
“Batatas, cebolas e feijões verdes para vendar”, Kartoffeln,
Zwiebeln und grüne Bohnen zu verkaufen.
Natürlich war es wieder ein dunkles Kämmerchen, diesmal
über den angelehnten Fensterladen zu erreichen, natürlich war
es wieder eine hutzelige Alte, die mir ihre Waren feilbot, und
natürlich lächelte auch sie mich wieder, zahnlos grinsend an
und löcherte mich bereits beim zweiten Besuch mit ihren
Fragen, die ich immer besser verstand.

Als sie mich fragte, wo ich denn untergekommen sei, überlegte
ich ein Moment,ehe ich auf meinen “Landsitz” zeigte, der nur
etwa einhundert Meter entfernt auf einer kleinen Anhöhe stand.
Erst dachte ich, das wäre ein gutes Stück zu vertrauensvoll
gewesen, doch als sie laut “Aaah!” ausrief und anfing mir,
soweit ich es verstehen konnte, irgendetwas über die gute alte
Familie … erzählte, die einst dieses Haus mit eigenen Händen
gebaut, aber nach dem Tod vom alten …., sich in alle Winde
verstreut habe, und nun sich keiner mehr um das schöne Gut
kümmere, es sei ja ganz verfallen, welch ein Jammer und so
weiter, und so fort, atmete ich beruhigt auf.

Wir wünschten uns einen schönen Tag und als sie mich noch
einmal zurückrief, um mir, verstohlen nach hinten schauend,
mit einem Augenzwinkern noch eine weitere Handvoll
Kartoffeln in die ohnehin schon randvolle Tüte zu geben, und
dabei unablässig “taz bem, taz bem, nao faz mal” murmelte,
ging ich ganz beschwingt wieder den Berg hinauf, um
Mittagessen zu bereiten.

Und so verbrachte ich dort stille Tage in absoluten Überfluss.
Eines Nachts saß ich am Feuer und bekam Besuch.
Irgendein erst redseliger, dann tief und schwer schweigender
Mann in mittlerem Alter gesellte sich zu mir ans Feuer und
blieb mehrere Stunden, trank von meinem Wein, bot mir von seinen Joints an
(welche ich zu meinem Erstaunen und Entzücken völlig
zweifelsfrei und bestimmt ablehnte, das erste große Nein, das
kein Verlust war und das mich mehr überraschte als sein
unvermitteltes Auftreten) und forderte mich dazu auf, die
Gitarre zu spielen.

Irgendwann, urplötzlich schrak er dann aus seiner Meditation
auf, verabschiedete sich hektisch und war noch ehe ich den
Mund wieder zuklappen konnte in der Nacht verschwunden.
Er kam nicht wieder, doch er weckte die Neugier nach der
Siedlung, und so ging ich am nächsten Abend hinüber zum
Dorf und trank in der vollkommen unromantischen Kneipe
mein erstes erfrischend kaltes, aber dünnes Sagre?.

Als ich wieder zurück zu meinem Feuer kam, war ich
unendlich froh, dass ich mittlerweile recht gut ohne die
Vorzüge elektrischen Stroms, wie zum Beispiel
Fernsehapparate, laut krächzende Radios voller Unmusik,
klirrende und singende Geldautomaten und grellem,
augenfeindlichem Neonlicht, auszukommen wusste.
In dieser Nacht schlief ich besonders tief und gut.

Ach, Portugal.
Ich könnte nun weiter und weiterschreiben,
doch an dieser Stelle will ich lieber fürs erste pausieren.
Zuviel wartet dort draußen, als dass ich mich in der
Vergangenheit verlieren möchte.
Denn während ich schreibe, ist fast schon wieder ein ganzer
Vor- und Nachmittag vergangen.
So ist es mit den Tagen…
Sie kommen und gehen.
Doch sie kehren nicht wieder…

 

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