Worte

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Worte

Mein Name ist Heiko Ruth.
Jetzt, wo ich diese Zeilen niederschreibe bin ich ein gewachsener Mann von 36 Jahren, und lasse mich von einem, bis auf wenige Ausnahmen, glücklichen Leben führen.
Allein mit diesem Satz könnte ich Bücher füllen, mich in der Begriffsfindung des unscheinbaren, und doch so intensiven Wortes Glück verlieren.
Eine meiner größten Laster ist die Leidenschaft an leidenschaftlichem Denken. Das war nicht immer so.
Es gab Zeiten, zu denen ich das Denken aus meinem Körper verbannen wollte, Zeiten zu denen mich das Denken ungemein anstrengte und von den Dingen, die mir wichtig waren, ablenkte.

Würde ich versuchen alle Probleme, die ich als Heranwachsender hatte, auf das Wesentliche zu reduzieren und auf einem Punkt zu sammeln, so würde ich unweigerlich auf den Schluss kommen,dass das Schwerste, was mir begegnete, die Unvereinbarkeit von meinen Gedanken mit meinen Gefühlen war.

Meine Gefühle waren von jeher der Triebmotor meiner Existenz.
Ich fühlte unermessbar viel, unglaubliche Dinge, unfassbare Welten von unwahrscheinlicher Klarheit, Welten, in denen ich mich zuhause fühlte, in denen ich alles in mir und um mich herum begriff und mir zu Eigen machte.
Meine Gedanken hingegen waren konfus, unberechenbar und bei weitem nicht so ergiebig.
Meinen Verstand zu verstehen, ihn für mich nutzbar zu machen, war eine mühselige Detailarbeit, die viele Jahre meines Lebens in Anspruch nahm.

Es fehlte mir an Worten, die erklärten was ich fühlte, die das greifbare der Gefühle in die abstrakte Welt der Sprache übersetzten, mich in die Lage versetzten mich nach aussen mitzuteilen, andere Menschen an dem, was in mir geschah, teilhaben zu lassen.
Dies lag nicht an einer fehlerhaften Entwicklung meines Sprachzentrums, sondern vielmehr an den Worten selbst, von denen die meisten bereits mit Bedeutungen gefüllt waren, die meiner Wahrnehmung nicht im Mindesten entsprachen.

So machte ich mich daran die Worte zu leeren, erst spielerisch, dann nahezu manisch Buchstabe für Buchstabe Worte vom Ballast zu befreien, um sie dann, rein und unberührt, mit dem zu füllen, was sie für mich bedeuteten, was ich mit ihnen ausdrücken wollte.

Ich fand Gefallen an dieser Tätigkeit, doch fehlte es mir an System, ich ordnete Worte aus dem Bauch heraus, nach einem Prinzip der Lust, ließ halb gefüllte Worte links liegen, oder stapelte sie hohl in den Ecken, weil mich anderes beschäftigte, oder weil ich nicht wusste, wie ich weiter mit ihnen verfahren sollte.
So kam es oft zu Situationen, in denen mir die Worte ausgingen, in denen die wenigen,
die ich zurückerobert hatte nicht ausreichten, und ich musste mir mit fremden Worten aushelfen, oder mich mit bedeutungslosen über die Runden retten.
Der geballten Kraft der gebräuchlichen Worte, die in ernsten Gesprächen wie Kanonenkugeln auf mich zurasten, hatte ich nichts entgegenzusetzen.
Die meisten dieser Gespräche liefen wie Duelle ab, bei denen ich versuchte, mich mit stumpfen Stift und vergilbten Blättern gegen tosende Wasserfälle von Worten zu behaupten.

Verständlicherweise machte ich dabei keine gute Figur, wurde regelrecht erschlagen, niedergezwungen, lag am Boden, fühlte alles, und wusste nichts zu sagen.
Was mich aus dieser Misere führte war die Poesie, die ich leider erst sehr spät für mich entdeckte.
Sie machte mir klar, dass das Füllen von Worten keine Krankheit war, sondern vielmehr eine Kunst, deren Gebrauch allen Menschen offen stand, und den Wenigen, die sie kultivierten, Freiheit und Unabhängigkeit bescherte, dass es überdies hinaus auch andere Menschen berührte und inspirierte, dass es sogar Menschen gab, die dies zu ihrem Lebensinhalt machten und dafür auch noch mit Respekt und Achtung belohnt wurden.

Nahm ich nun die Worte dieser wenigen, so bemerkte ich, dass deren Worte nicht bis zum Anschlag gefüllt waren, und das sie sich ohne Widerstand von selbst leerten wenn man etwas hinzugab.
Es gab keine Rückstände, wie bei all den anderen, sie waren regelrecht aufbereitet und
für den weiteren Gebrauch optimiert.
Es waren dynamische, formlose Worte,  die ihrer Verwandlung aus eigenen Stücken entgegenstrebten,
die sich weigerten statisch zu sein, sich bereitwillig vor mir ausbreiteten und mich geradezu aufforderten sie neu zu gestalten.
Es waren freie Wörter einer freien Sprache.

Jedes Mal, wenn ich eines von ihnen nach getaner Arbeit betrachtete, fühlte ich eine tiefe Dankbarkeit von ihnen ausgehen, die mich in einen Zustand unausprechlicher Freude versetzte.
Diese Freude gab mir die Kraft, die ich brauchte, um all den störrischen, widerspenstigen Worten zu Leibe zu rücken und sie für mich, und meine Welt, zu zähmen.

All die Dinge, die ich in Gefühlen reflektierte, standen nun offen vor mir, und ich war bereit dazu sie aus der Tiefe herauf zu ziehen und sie an die Oberfläche zu heben, sie mir vor den Geist zu führen, und sie behutsam in die leeren Worte zu gießen.
So fing ich an zu schreiben.

Bald fiel mir auf, das das, was ich schrieb, mehr war als das, was ich preisgeben wollte.
Es war all das, was in mir verschüttet war, all das was mir fremd, was mir unerklärlich geblieben war, all das, was ich keinem, nicht einmal mir selbst, zu erklären vermochte.
Es begann für mich eine Zeit, in der ich meinen Gefühlen Gestalt gab, eine Zeit in der ich mich selbst entdeckte und aus der beobachtenden Rolle im Schatten meiner selbst
hinaus trat, um mich im Licht der Welt zu sonnen.

Nun stand mir das Leben offen, kaum weniger bedrohlich und seltsam als bisher, doch greifbar und mir verwandt, es lockte mich mit Geheimnissen und schmeichelte mir,
indem es mich selbst zu einem Geheimnis machte, das von ihn entdeckt werden wollte.
Von da an ließ ich mich führen und wurde mir bewusst, dass es mich schon immer sicher geführt und dass auch die Dinge, die ich als Ungerechtigkeit empfunden hatte, keinen steilen, sondern einen zielgerichteten Weg beschrieben, dass alles in sich stimmig war, dass kein Tag verloren ging, und dass ich niemals, zu keiner Zeit, verlassen wurde.
Mit den Worten kam auch die Musik.
Sie fasste da, wo keine Worte waren, meine Hand, und zog mich fort von mir selbst, um mir zu zeigen dass Gefühle eigenständig und eigenmächtig sind, machte mir klar,
dass es Gefühle gibt, für die kein Wort Raum genug zu bieten hat, dass das Unmittelbare, Unbeschreibare älter ist als die Sprache, und das es Dinge gibt, die keiner weiteren Erklärung bedürfen.

Der Kampf zwischen gefühlten und gedachten Welten nahm, nun endlich, ein friedliches Ende.

 

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