Un Liason breve

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Un Liaison brève avec Paris

1

Das also ist Paris.
Stadt der Liebe.
Wohl eher Stadt der furchtlosen Fußgänger, der rigorosen
Rollerfahrer und vernachlässigten Verkehrsregeln, aber auch -
Stadt der vielen Kulturen.
Kaum 2 Stunden hier, drang ununterbrochen eine verrückte
Mélange aus aller Herren Länder an mein Ohr:
arabisch, indisch, kreolisch, pidgin, chinesisch, hebräisch,
türkisch, unerkennbarisch und nun, im Strom der Touristen,
auch spanisch, italienisch, englisch, deutsch…
Auf den ersten Blick wirkt diese sagenumwobene Stadt eng
und überfüllt, laut und dynamisch, fremd und weitläufig.
Vereinnahmend und abweisend.
So viele fanden hier Zuflucht und Refugium, Hemingway,
Rilke, Jim Morrison und nicht zuletzt Breyten Breytenbach,
dem es trotz aller Not und Offenheit nicht gelang, hier Fuß zu
fassen.

Ihm fehlte es hier an Verbundenheit, an Mitsprache, an Tiefe
und Gewicht. Er war ein Mensch, der die Schuld seiner
Vorfahren verbissen schulterte, der Heimat in einem Land fand,
das ihn weder willkommen noch verabschiedet hatte und
vielleicht gibt es in ganz Südafrika bis heute keinen Menschen,
dem der Schmerz seines Landes größere Wunden riss.

Er gehörte nicht dazu, war Eindringling und Auswuchs
zugleich. Wer etwas über die Seele des Landes am Kap der
guten Hoffnung erfahren möchte, wer wissen will, wie
zerrissen das Leben in Afrika ist, der sollte seine Bücher, Wort
für Wort für Wort verinnerlichen.
Doch Paris….
Mir fehlt es hier an Grün, an Wasser, an Lufthoheit.
Ich vermisse mein neues, altes Berlin, vermisse die Sicherheit,
mit der ich sie durchwanderte.
Wie soll man in anderthalb Tagen eine Stadt in sich aufnehmen,
deren Geschichte über tausend Jahre alt ist…?

2

Das Hotel, vielmehr die Pension, vielmehr die Absteige, ist
wie ein Szenenbild aus der Schundliteratur,
“Film Noir par Excellence”.
Der Raum reicht kaum aus das Bett zu beherbergen, auf
Schränke, Kommoden und Ablagen wurde aus schleierhaften
Gründen restlos verzichtet, ebenso auf Charme und Flair .
Die Wände sind großflächig gekachelt und das einzige Fenster
reicht zu einem Lichtschacht, der mit wenig Licht aufwartet,
dafür aber einen hervorragenden Resonanzkörper für die
Geräuschkulissen der anderen Räume abgibt.
Beim Zubettgehen bekamen wir Besuch der Nachbarn im
Nebenzimmer, sprich der Großfamilie, die den Vorraum
unserer Schlafhöhle bewohnt und deren Wohnstatt direkt über
deren geöffnete Badezimmerfenster und -türe mit der unseren
verbunden ist.

Die Sprache, in der sie kommunizierten, hatte in meinen Ohren
keinen eindeutig zu bestimmenden Ursprung, klang rhythmisch
und melodiös, vereinzelte Brocken Französisch
polterten wie loses Geröll durch die Silben, gaben
Anhaltspunkte, welche nur kurz auftauchten, ehe sie den
Abhang weiter rutschten.
Es waren takt- und sorglose Menschen, Menschen ohne
Etikette, welche uns dann auch lautstark und ohne Hemmungen
einen ungetrübten Blick auf den nächtlichen Alltag einer
fremdländischen Familie in einem fremden Land gewährten,
um nicht zu sagen: aufzwangen.
Wie ich so dalag und versuchte den namenlosen Stimmen
Gesichter zu geben, wurde ich hin und hergerissen zwischen
humorvollen und verzweifelten Momenten, gedachte meines
verkappten Deutschtums, gedachte der Menschen auf den
unteren Sprossen der Gesellschaft, deren Leben womöglich
nach ähnlichen Mustern abliefe.
Auch das ist Luxus.
Ruhe.
Privatsphäre.

3

Nun ist es Morgen, angenehm kühl und verschlafen, konnte
mich für den Moment lösen und bin allein in einem Café.
Es ist schön, die Stadt durch schlaftrunkene Augen zu sehen.
Auch das ist wohl Paris, das Paris hinter den Kulissen…
Wie gerne würde ich sie auf diese Weise kennenlernen, ganz in
sie eintauchen, fotografieren, schreiben, mich ihr naiv und
ungerichtet hingeben, unvoreingenommen ihren Einfluss auf
mich erleben.
Wie gern wäre ich hier mit Zeit und Geduld, würde ich sie
umschwärmen und umgarnen,
würde ich sie auf mich wirken lassen.
Es gibt sie, diese Stadt, die schwere Gefühle und leichte
Gedanken verursacht, die Kunst und Kultur schwitzt, die fremd
und doch vertraut ist.
Doch scheint sie nicht willfährig, nicht leicht zu haben sein, ist
keine Stadt für eine Nacht, keine ” femme pour un aventure
sans lendemain”…
An diesem Morgen, der in wenigen Augenblicken zu Ende sein
wird, liegt sie offen vor mir.
Alles was ich tun müsste, wäre weiter in diesem Eckbistro zu
sitzen, Kaffee zu trinken, zu schreiben und gelegentlich den
Blick zu heben, um mich schauen.
Wenn man eine Liebschaft sucht, sollte man nicht in
Gesellschaft reisen, sollte nur leichtes Gepäck bei sich tragen
und dazu bereit sein, dieses an jeder Ecke abzulegen.
Im Grunde braucht es dazu nicht viel mehr als Stift,
Papier und Zahnbürste.

4

Doch es verhält sich anders, als gedacht.
Zwar konnte sie die Enttäuschung nicht ganz verhehlen,
doch tat dies auch keine Not.
Und so rang ich meiner Familie ein paar Stunden ab, in denen
ich egoistisch und unverantwortlich weiter in mir das Paris
meiner Helden zu finden versuchen werde.
Und nun?
Wie geht es von hier an weiter.
Was ist überfällig, was überflüssig?
Ist Bewegung das rechte Mittel, oder Zentrierung, Stillstand,
Verwurzelung?
Vielleicht mal um die nächste Ecke schauen.
Schreiben, schauen, innern, äußern, atmen, rauchen,
fotografieren, festhalten, loslassen, zunehmen, abgeben,
auslegen, aufrichten, das Geschehen betrachten oder die
Betrachtung geschehen lassen?
Beruhige dich.
Halte Ausschau, halte inne, kleiner Möchtegern-Poet.
Alles wird sich finden, wird dich finden, wenn du nicht weiter
danach suchst.
Lasse den Stift nun ruhen.
Öffne dich.

5

Mittlerweile habe ich das Wasser erreicht, eine Schleuse am
Pont Eugène Varlin. Grund genug, kurz aufzuatmen.
Die Hitze nimmt rapide zu, der Opus gewinnt an Umfang,
schwillt an, die Ouverture neigt sich dem Ende, hallt pompös
in den nächsten Satz.
Wieso muss Klassik immer derart dramatisch sein?
Auffällig ist der latente, indezente Geruch von Urin, an Ecken
und in Gassen, aber auch an belebten Plätzen, in nächster Nähe
zu einem der zahlreichen Toilettenhäuschen, deren Benutzung
aller Wahrscheinlichkeit nach mehr kostet, als die ebenfalls
zahlreichen Bettler im Verlauf eines Vormittags ihr eigen
nennen können.
Es gibt da diesen Begriff, der in meinen naiven Ohren sehr
schön klingt, auch wenn er mit großer Sicherheit eine üble
Beschimpfung darstellt: “Clochard”.
Letztlich ist die französisch Sprache zu weich um, allein an
ihrem Klang, harte von sanften Wörtern zu unterscheiden.
Wie vermessen ist es, ein Land zu bereisen, dessen Sprache
man nicht im geringsten mächtig ist.
Diese permanente Weigerung der Franzosen, selbst in der
Metropole, sich des englischen zu bedienen, ist mir hingegen
auf eigenwillige Art sehr sympathisch.
Es ist immer der Gast, der sich in die Gepflogenheiten einfühlen
sollte, das gebietet allein schon der Respekt vor der Vielfalt.

6

Wie sehr ich es liebe, in den Straßen und Gassen fremder
Städte umher zu streichen, ohne auf Straßenschilder zu achten,
sich einfach treiben zu lassen, sich im Treiben zu verlieren,
ganz nach Belieben mit oder gegen den Strom zu schwimmen.
Und wie befreiend es ist, nicht anhand von Karten zu
navigieren, sich nicht seines Aufenthaltsortes zu versichern,
indem man seinen Standpunkt eindeutig definiert.
Es erinnert mich so sehr an meine Seemannszeit, auch wenn
deren Streifzüge meist in den nächtlichen, uferlosen Stunden
stattfanden. Auch da war ich isoliert und gleichermaßen
integriert, war eine Erbse in der Linsensuppe, ein Sandkorn im
Wasser, ein Schaf unter Wölfen, ein Obstbaum im Tannenwald.
Doch wenn man alle Nationalität abwirft, alle Kulturgrenzen
und Sprachbarrieren ignoriert, findet man Verwandtschaft und
Nähe, Zugehörigkeit zu dieser einen großen Menschenfamilie
und der eigene Name verliert an Bedeutung, an Identität.
Man ist nicht mehr nur einer unter vielen.
Man ist Teil der Vielfalt, Teil des Ganzen.
Und die Heimat, die man verlassen zu haben glaubt, ist nicht
fern, ist nicht vor Ort, ist nicht durch Reisen zu erreichen.
Sie ist immer dort, wo man den Blick hebt und wieder senkt,
wo man Sauerstoff raubt und Kohlenstoff abgibt.
Sie ist das schlagende Herz,
das man auf seinen Reisen mit sich trägt.

7

Was sind drei Stunden Zeitlosigkeit im Korsett einer näher
rückenden Verabredung? Die Minuten schmelzen, wie Eis in
der Sonne, dahin.
Nun bin ich dort angelangt, das ich zu meiden versuchte.
Im immerwährenden Strom der Touristen, auf ihrer Jagd nach
Erinnerungsphotos von Sehenswürdigkeiten.
Wodurch verdient man sich die Würde, gesehen zu werden?
Es ist laut und hektisch hier, am Pont Neuf, fast bedauere ich
mein Aufnahmegerät im Hotel gelassen zu haben, die auditive
Wahrnehmung hält mehr Schätze bereit, als die visuelle.
Noch 10 Minuten.
Wo ist es nun, das Paris von eben, das Paris der Menschen und
Leute, das Paris, das kein Englisch spricht, das mich nicht nach
der Größe meines Portemonnaies beurteilt, nicht nach meiner
Kaufkraft fragt, wird es mir heute noch einmal begegnen,
wartet es auf mich, gewährt es mir erneuten Einlass?
Hier, zumindest, scheint es nicht vorhanden.

8

Und wieder schenkt sie mir Zeit, wieder nimmt sie sich
zurück, damit ich ich mich behalten kann.
Ich weiß nicht, ob ich das verdiene, ob es mir zusteht, oder ob
ich nur auf ihre Kosten meine Zeit auskoste. Doch ich weiß
dieses Geschenk, diesen Zuspruch sehr zu schätzen und bin,
von Dankbarkeit erfüllt, mir ihrer undankbaren Rolle bewusst.
Macht es das besser?
Wahrscheinlich nicht.

Wie sehr ich mich in diesem Zusammenhang für meinen Drang
nach Einsamkeit schäme, wie wenig ich vom Fundament der
Liebe verstehe…
Ich bin wohl immer auf der Flucht.
Für den Augenblick scheint sie geglückt.
Nicht vor ihr, wie kann ich fliehen, was in meinem Herzen lebt,
was dort nicht mehr wegzudenken ist, warum sollte ich das tun,
warum sollte ich leugnen, was offensichtlich ist?
Geflohen bin ich vor dem Zirkus, der Invasion.
Die Kosten für einen Exodus dieser Sorte betragen in der
Hauptstadt Frankreichs läppische ein Euro siebzig, für die
Metro, plus fünfzehn Minuten Lebenszeit.
Nun kann ich wieder atmen, wieder fühlen und denken.
Wieder schreiben.

Wenngleich ich kein Wort verstehe, so hüllt mich das
französisch der Einheimischen doch wohltuend ein, umgibt und
durchdringt mich wie der Duft fernöstlicher Gewürze auf
einem orientalischen Basar.
Allein für Verheißungen dieser ausschweifenden,
ausschmückenden Sprache, ihrer Melodie und Poesie, für ein
einziges, mittelmäßiges, selbstgeschriebenes Gedicht in ihrem
Klang, würde ich bleiben wollen.
Doch ich freue mich auf Morgen, auf den Aufbruch.
Unter Beton nach Wurzeln zu graben ist letztendlich zu
mühsam, zu aufwändig, zu unergiebig.
Und schließlich gibt es nichts auf Erden,
das tiefer als das Meer reicht.

Das Schild vor meinen Augen, das ich entgegen aller
Beteuerungen verstohlen lese, trägt den Namen “Rue Des
Pyrènees” und hängt unweit des Friedhof PèreLachaise,
an den mich mein heutiger Weg in Kürze führen wird.
Doch zuerst werde ich das Grün und das Wasser aufsuchen und
um Rat fragen.

9

Nun bin ich wieder da, wo ich den Großteil meiner Seele
deponiert habe.
Im Schatten eines Baumes, am Ufer eines Teiches.
Es gibt hier nicht viele Parks, die diesen Namen verdienen und
der “Parc des Buttes Chaumant” scheint einer der größeren zu
sein. Dies könnte auch Berlin sein, auch New York, auch
Recklinghausen…
Die einzigen Geräusche, die mich hier erreichen, sind leises
Gemurmel, lautes Blätterrauschen, Schritte auf Kies und
entferntes Kinderlachen. Bis auf Enten, die beherzt aufquaken,
scheinen keine Vögel diesen Park zu bewohnen, oder ihn zu
dieser Tageszeit den Menschen zu überlassen.
Doch hier ist ein Ort, der von Schmetterlingen besucht wird.
Es sind mehr, als ich zählen kann.
Ich werde diesen Garten der Ruhe nur ungern wieder verlassen.

10

Der gestrige Abend war bezaubernd.
Wir saßen bis Mitternacht vor einem Bistro unweit des Hotels
und ließen den Worten freien Lauf. Um uns herum pulsierte
das Pariser Nachtleben und zeigte sich von seiner Sonnenseite.
Obwohl ich, wie häufig in letzter Zeit, dem Alkohol sehr
zusprach, ihn für nötig befand, um mein Inneres zu äußern, war
die Stimmung in und um uns sehr fein und unaufdringlich,
zumindest solange, bis ich meinen Drang nach einem
kunstdurchdrungenem Leben zu oft geäußert, zu oft fordernd
und verlangend artikuliert hatte und der Verlauf unseres
Gesprächs eine dramatische Wendung nahm.
Schließlich gelang es uns doch noch, mit sichtlicher Mühe, das
Missverständnis, das Angriffs- und Verteidigungsspiel, diese
gefährlichen, messerscharfen Klippen vor dem Archipel,
beinahe unbeschadet, zu umschiffen.
So blieb ein Abend des Abschieds zurück, der gelungene
Ausklang eines einsamen Tages, in Ihrer Gesellschaft.
Nun beginnt der neue Morgen, es ist noch früher am Tag, als
gestern.
Das Café hat schon geöffnet, doch es sind noch wenige
Menschen auf den Straßen unterwegs, wenige Läden geöffnet,
wenige Rolläden aufgezogen.
Ich glaube, es ist mir recht gut geglückt in der gegebenen Zeit
ein Paris zu sehen, das ich in guter Erinnerung behalte, das
Inspiration und Neugier bewahrt, das mir weitere An- und
Einsichten bereit hält.

Das Gefühl, das mich befiel, als ich zum ersten Mal meine
Füße auf die Pariser Straßen setzte, war von Unsicherheit,
Angst und Abneigung durchsetzt und so war der letzte Tag
auch ein Versuch, möglichst viel abzulegen, um wenigstens
etwas mitnehmen zu können.
Heute früh, kurz vor der Abreise, fühle ich mich, wie gestern
Abend, in keinster Weise bedroht, es ist fast so, als sähe ich ein
potentielles Leben in dieser Stadt, etwas, das über die
unverbindliche Affäre hinaus gehen, dem Abenteuer Tiefe
hinzufügen könnte.
Und wer weiß?
Vielleicht kehre ich wieder, vielleicht führt mich mein Weg
zurück…
Doch vorerst soll es reichen, sich in aller Stille zu
verabschieden und hier, zu dieser Zeit, an diesem Ort, einen der
kostbaren Briefe Hermann Hesses zu lesen, indem er einem
jungen Kollegen in Japan schreibt:
„ Der Dichter….sein Verdienst kann lediglich darin bestehen,
daß er Fenster ist, daß er dem Licht nicht im Wege steht, sich
ihm nicht verschließt….Der Literat soll an das Licht glauben,
er soll von ihm durch unumstößliche Erfahrung wissen und
ihm so oft und so weit wie möglich offen stehen, aber er soll
sich nicht für einen Lichtbringer oder gar selber für ein Licht
halten. Sonst geht das Fensterchen zu, und das Licht, das auf
uns keineswegs angewiesen ist, geht andere Wege.“
Ein Fenster zu sein, das dem Licht nicht im Wege steht..
Und Schatten?
Wirft ein solches Fenster auch Schatten?

Sicher, es besteht nur zu Teilen aus lichtdurchlässigem Glas,
das von einem festen Rahmen eingefasst, an den Rändern dem
Licht den Durchgang verwehrt.
Und so muss es doch schließlich auch sein.
Ein Wesen, dass keinen Schatten wirft, das keine Schatten
beherbergt, scheint dem Meinen sehr fremd.
Du hingegen, Hesse, warst letzten Endes vielleicht doch ein
Fackelträger, brachtest, zu einer Zeit, in der die Dunkelheit sich
nahezu alles nahm, Licht in diese Welt.
Ein Licht, das bis ins Heute reicht, und Morgen noch mit
unverbrauchter Kraft und Helle strahlen wird.
Adieu´………

 

 

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