Halbwertszeit

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Halbwertszeit

Wenn du nicht bist
bin ich nur halb
bin ohne Arme
ohne Beine
lieg am Boden
und kann mich nicht mehr
aus eigener Kraft bewegen
Und die Augen,
die sonst klar und durstig,
werden immer trüber
und die Ohren,
die sonst scharf und spitz,
verlieren ihren Sinn.

Wenn du nicht bist
bin ich nur viertel
Und mein Herz hört auf zu schlagen
meine Adern sind gefroren
meine Zellen sterben ab
und mein Körper wird zu eng
um meine Seele zu behausen
meine Zähne fallen aus
und meine Haut beginnt zu faulen

Wenn du nicht bist
bin ich nur achtel
bin nur Kohlenstoffgewebe
und die Ratten reißen mir
das Fleisch
in Fetzen von den Knochen

und die Fliegen legen Eier
in die Augen und den Mund
und die Maden graben sich
vorbei an Muskeln
in mein Fett

Drum muss ich jetzt
wo du noch bist
mich mit der Einsamkeit vertragen,
muss erkennen
dass sie
alles was ich bin
für mich bereithält,
dass sie dann,
wenn du nicht bist
das alles
hart auf mich zurückwirft
dass sie mir
mein Wesen
schonungslos
um meine tauben Ohren haut

Die Liebe
die wir teilen
muss mit Einsamkeit getränkt sein
denn sie wuchert um so mehr
je länger man sie ignoriert
Alles was sie will
ist, dass wir sie
in unseren Herzen tragen
dass wir sie auch dann noch achten
wenn wir zweisam beieinander sind.

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