Gelassenheit

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Gelassenheit

 

Wenn ich sagen kann, dass etwas dazu gekommen ist, dann wohl dies:
Gelassenheit.
Wo früher alles dringlich war, ist heute alles Ungewisse interessant, und weckt in mir, statt Verzweiflung, eher Neugier…
Und dort, wo ich nicht weiterkomme, wo ich feststecke mit meinen Fragen, bin ich nicht länger hilflos, sondern berührt, an Stelle der Angst tritt das Staunen.
Langeweile war noch nie mein Steckenpferd, doch je länger ich hier weile, desto mehr wird mir klar, dass es so etwas nicht gibt, nicht geben kann.
Wie alles, was uns innerlich hemmt, ist auch die Langeweile ein Gedankenkonstrukt, eine unerfüllte Sehnsucht nach mehr.
Mit der Gier alles zu sehen, zu haben, zu wissen, zu wollen, entsteht eine undurchdringliche Blase, in der man gefangen ist, die alles aussperrt, und einen immer wieder auf sich selbst zurückwirft.
Heute starre ich nicht durch die Luft.
Ich schaue sie an, merke wie vor meinen Augen etwas geschieht, das ich nicht sehen, aber denken kann.
Ich denke winzige, geschäftige Moleküle, die sich um sich selbst drehen, wackeln, zittern, gegeneinander stoßen, auseinander treiben.

Ich spüre Wind auf meiner Haut, reißende Flüsse, und denke wie sie ergriffen, wie sie mitgerissen werden und rasch davon strömen.
Ich sehe Stellen, wo sie dicht aneinander vorbei gleiten, und andere, wo sie nahezu alleine schweben, erkenne dass die, die sich am meisten winden, von allem abprallen, erbeben und empor geschleudert werden, dort abkühlen und zur Ruhe kommen, gemächlich wieder zu Boden sinken.
Heute sehe ich Wasser in der Luft, wie es sich sammelt, zusammenzieht, nanoskopische, dipole Moleküle, die sich einander zudrehen, und wie Magnete schwungvoll einrasten.
Ich sehe andere, längere Molekülketten, die in Schwaden durch die Luft ziehen, auf und in ihr schwimmen, wie Treibholz, und noch ehe sie meine Nase erreichen, weiß ich wie sie duften werden.
Ich spüre kurze, elektrische Impulse, die sie in meinen Geruchszellen auslösen, in Bruchteilen von Bruchteilen von Sekunden durch die Nerven jagen, sehe Lichtblitze in Regionen meines Gehirns, deren Namen ich nicht kenne…
Wenn ich heute die Augen schließe und lausche, sehe ich ein heilloses Durcheinander von Wellentälern und –kämmen, wie sie sich an einer Stelle addieren und an anderer gegenseitig auslöschen, wie Löcher entstehen und sogleich wieder aufgefüllt werden, sehe wie alle Wellen überall zugleich sind, weder Anfang noch Ende haben…
Wenn ich heute meine Ohren ausblende, dann spüre ich in meinen Adern das pulsierende Blut und folge ihm bis zu meinem Herzen, das ohne Unterlass pocht und hämmert, mit jedem Schlag mein Leben aus dem Körper treibt, seit heute, seit gestern, seit meiner Geburt.
Wenn ich heute schreibe, so sehe ich wie sich auf dem Papier eine Spur legt, wie die Fasern des Blattes die Farbe ergreifen und sie in sich einbinden, sie festhalten, integrieren, sehe wie ein Teil der Flüssigkeit verdampft und in meine Nase steigt.
Wenn ich dabei auf einem Stuhl sitze, dann spüre ich wie die Erde mich anzieht, wie die Luft gewaltig auf meinen Körper drückt, wie dieser sich entspannt dagegen stemmt, und wie der immense Druck in meinem Inneren das alles kompensiert.
Wenn ich mich heute freue, oder ärgere, so sehe ich wie meine Gedanken durch das Hirn flattern, meine Hypophyse Hormone aus sich heraus presst, wie sich diese im Körper verteilen und zu Gefühlen werden, die Gedanken hervorrufen, die Gefühle erzeugen, die Gedanken erschaffen…
Wenn ich heute etwas nicht verstehe, dann atme ich entspannt ein, und wieder aus, sehe wie der Kohlenstoff, der mich zusammenfügt, aus mir herausströmt und zu dem Gras unter meinen Füßen strebt, ich sehe wie alles in und außer mir zusammen gehört, sich ergänzt, addiert und eliminiert.
Auch wenn ich nichts verstehe, weiß ich wieso es so, und nicht anders ist.
Und ich habe keine Angst mehr vor den Menschen und der Welt, die sie bevölkern.

Wenn ich heute ängstlich bin, zieht eine Kraft mich heftig heraus, aus diesem Biotop, reißt mich gewaltsam nach oben, höher und höher in den kalten Raum, der schwarzen Suppe, auf der unsere Welt wie ein Fettfleck schwimmt.
Dann schwebe ich alleine im Orbit, friere und glühe und staune, bin ohnmächtig vor Schrecken und Entzücken,

starre wie gebannt auf diese riesengroße blau-braun-grün-weiße Kugel vor meinen Augen, meine Tränen tanzen schwerelos vor meinen Augen und ich spüre wie einsam wir sind, wie wenig wir haben, wie alles was wir sind und alles was wir kennen nur diese eine, große, winzig kleine Kugel ist, und ich weiß, dass es in dieser erdrückenden Weite nur einen Ort, einen unermesslich kleinen Punkt gibt, der zu mir gehört, mir Heimat ist, mir Schutz gibt und nichts dafür zurück verlangt.
Solange wir die Erde haben gibt es nichts zu fürchten.

Wenn ich etwas dazu gewonnen habe, dann ist es dies:
Gelassenheit.
Gewissheit, dass es nirgendwo einen Stillstand gibt,
dass alles zu entdecken ist,
dass alles ein Geheimnis ist,
dass alles, was ich tue, homogen ist,
dass alles, was ich sehe, unbeschrieben ist,
dass alles, was verstanden ist, umschrieben wird,
dass jede Antwort zu neuen Fragen führt
und jede neue Frage tiefer reicht,
dass mein Leben nicht ausreicht um
das Leben zu erkennen
und dass das genau der Grund ist
wieso alles auf der Erde lebt,
dass alles auf der Spur,
auf der Jagd nach dem Geheimnis ist,
und schon alleine dadurch
die Erkenntnis weiter davon trägt,
dass ich, um glücklich zu sein,
nichts weiter tun muss, als zu atmen,
und zu leben, und von Zeit zu Zeit
die Welt vor mir, und in mir
zu ertasten, mich immer wieder
daran erinnern muss
dass alles, was ich sehe, dunkel
und nur deshalb zu erkennen ist,
weil es das Licht zurück schlägt,
Photonen auf meine Netzhaut wirft…

Das Faszinierendste an allem, das, was mir am meisten Sicherheit und Frieden gibt, was mich am tiefsten Staunen macht, Ehrfurcht und Vertrauen weckt, ist die Erkenntnis dass alles was ist, ich und ihr, die Erde und das Weltall, und alles was in ihm ist, aus einer handvoll Elementen besteht, die nur durch die Art und Weise wie sie sich verbinden, nur dadurch, dass sie von unzähligen Möglichkeiten eine einzige, bestimmte wählen, alles voneinander unterscheidbar machen, dass keine Blume, keine Schneeflocke, kein Baum, kein See, kein Stein, kein Insekt, kein Tier, kein Mensch dem anderen gleicht…
Und dass trotz dieser klaren, komplexen Gesetze, noch so viel mehr ist als das.

Etwas das sich nicht offenbart, sich nicht begreifbar macht, das allem ,was wir zu Wissen glauben, spottet, das Raum für Glauben und Aberglauben lässt, für Phantasie und Träume, alles ermöglicht was unmöglich ist…
Unmöglich wie die Seele, wie Poesie, wie Übernatürlichkeit, wie das Erkennen eines Menschen, der uns nie zuvor begegnet ist, wie alles, was wir fühlen, was wir spüren, was wir teilen, ohne jemals zu wissen wer wir sind und was es ist das uns zu dem macht der wir sind, als ob in allem etwas wartet unser Wissen umzukehren.

Es ist genau diese Balance, dieses Gleichgewicht zwischen Neugier und Ergebenheit, zwischen dem Wunsch alles zu lernen, und dem alles zu belassen, das ich meine ,mit Gelassenheit.
Je mehr Zeit ich verliere, desto ruhiger werde ich.
Erkenne dass es nicht darauf ankommt als erster durchs Ziel zu gehen, sondern darauf soviel wie möglich vom Weg dorthin zu sehen, so oft wie möglich stehen zu bleiben und sich umzuschauen, vom Weg abzukommen und andere zu finden, sich nicht zu ärgern wenn man im Kreise geht, sondern darauf zu achten wie alles sich in jeder Runde verändert hat, dann auszubrechen, nie gerade Strecken zu laufen, nach Westen, nach Osten und wieder zurück, niemals anzukommen.
Sich auszuruhen, wenn man müde ist, zu rennen, wenn man nicht weiß wohin, mit all der Energie, tagelang zu stehen und zu staunen, für alles Zeit zu haben, alles geschehen zu lassen, sich ablenken, entführen lassen, sich und alles immer wieder neu zu sehen…

Es ist Gelassenheit, die all das möglich macht.
Nicht der Drang mehr zu haben, besser zu werden, wo anders zu sein, nur zu genießen dass ich hier bin, jetzt, und dann nie wieder, dieses Hier mit mir zu tränken, etwas mehr und etwas weniger sein, bevor mein Leben mich weiter trägt, bis mein Tod, in mir, ausgewachsen ist und sich ans Licht drängt, mich verdrängt und schließlich doch über die Ziellinie schleift.

Und wenn es soweit ist, dann will ich von allem was mir eigen ist, nur eines behalten, um es ihm zu zeigen, als Blaupause des Lebens, das er mit sich nimmt, als Erklärung, was ich mit all der geschenkten Zeit angestellt habe, und ich denke es wird ausreichen, um meinem Tod jedwede Fragen zu beantworten, und selbst keine mehr stellen zu müssen…

Gelassenheit.

 

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