Besuch

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Besuch

Der Tod stirbt sich nicht auf Raten.
Dazu fehlt es ihm, bei aller Geduld, an Bescheidenheit.
Zwar gibt es Menschen, die ihren Tod zu stunden glauben,
die in der Überzeugung leben, ihn mit kleinen, mundfertigen
Gaben noch eine Weile hinhalten zu können. Doch das, was sie
auf diese Art sorgfältig abwiegen und geschickt wie eine
Krämerseele in verknülltes Papier einwickeln, auf dass es den
Anschein mache größer zu sein, ist in Wirklichkeit kein Leben.
Es sind verblasste Erinnerungen, gestorbene Träume und matte
Illusionen, für die der Tod keine Verwendung hat, die er milde
lächelnd zu den anderen Päckchen in die Besenkammer stellt.
Nein, der Tod lässt sich nicht täuschen.
Er hatte unzählige Leben Zeit, sein Handwerk zu verfeinern,
ist Meister seiner Kunst, die ihm kein anderer in Gottes großem
Garten streitig machen kann.
Und er ist keiner, der sich an den Besitztümern anderer
vergreift. Alles was er tut, wenn die Frucht reif und in Blüte
steht, ist sich den Teil seiner selbst zurück zu holen, den er
täglich von sich gibt, den er sorgsam und liebevoll in jedes
neue Leben bettet, auf das es im Innern dieses einzigartigen
Lebens gemeinsam mit ihm wachse und gedeihe.
So wird der Tod immer mehr, immer reicher und weiser, passt
sich dem Leben, das nicht stillzustehen vermag, nach allen
Kräften an, um ihm weiter, nach bestem Gewissen, seinen
unbedingten Dienst zu erweisen.

So profitieren wir Lebenden, profitiert das Leben selbst, von
seiner unermüdlichen und hingebungsvollen Arbeit, seinem
Willen es bei jedem weiteren Male noch besser zu machen, als
zuvor. Es sind keine aufgebrauchten, abgetragenen Tode, es
sind angereicherte, veredelte, die er uns zur Obhut lässt.
Und wie er in dieser ihm zugewiesenen Bestimmung aufgeht,
könnte man fast meinen, er sei von einem verbissenen Ehrgeiz
getrieben, doch hält er weder etwas von Ehre, die ihm oft
angedichtet wird und seinen Namen missbraucht, noch geizt er
mit dem geringsten seiner Habe, meist hat er nicht nicht einmal
mehr einen alten, wurmstichigen Schemel, um sich in ruhigen
Momenten darauf niederzulassen.
Möchte man etwas über Hingabe, über Würde und Achtung,
über bedingungslose Liebe erfahren, so gilt es, dem Tod nicht
im Rücken zu haben, sondern ihm offen entgegen zu treten und
willkommen zu heißen.
Wie man das Sonnenlicht im Vollmond länger unbeschadet
sehen kann, als in der Sonne selbst, lässt sich auch das Leben
in den Augen des Todes tiefer schöpfen, als im Angesicht des
Lebens.
Und der Tod, der vielverachtete, weitgefürchtete,
unnachgiebige, unbestechliche, unausweichliche, unbeliebte
Tod, freut sich über jeden Gast, der sich in seine Heimstatt
verirrt, erzählt jedem, der sie hören will, die lebendigsten
Geschichten, bereitet einem jeden ein fürstliches Mahl und ein
erholsames Bett für die Nacht, auch wenn er selbst dafür
hungernd auf dem Boden schlafen muss.
Er weiß Besuch zu schätzen.

 

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