Beiläufig

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Beiläufig

 

Der Lauf im Mund schmeckte kalt und bleiern, wie das geronnene Blut eines anderen, ein Fremdkörper im eigenen Organismus, salzig wie die Tränen einer jungen Witwe…

Seine Hände zitterten, er musste blinzeln, jedes Mal wenn ihm Schweiß in die Augen lief, tanzten Reflektionen über seine Netzhäute und verschwanden wieder in dem trüben, verschwommenen Bild das sie aufnahmen.
Es war die Angst, die Zweifel, die ihn dazu trieben,  die einsame Dunkelheit, die ihn alles vergessen machte, alles außer dem Schmerz.
So viele Menschen hatte er getötet, auf jede erdenkliche Weise, mit Kugeln und der frisch geschärften Klinge seines Bajonetts, Hatte mit Granaten um sich geworfen, bis alles außerhalb seines Grabens in einem Sud aus Galle und Gedärmen, Gliedern und Exkrementen ertränkt war…
Und die, die noch nicht mit dem Gesicht im Schlamm lagen, knieten auf den Leichen und husteten sich die Lungen aus dem Leib, in kleinen, roten Stückchen auf die Rücken ihrer Kameraden, bis auch sie sich zuckend daneben legten.
Das Gas war bei weitem das Schlimmste, die grausamste Art einen Menschen zu töten, ihn zu entwürdigen und danach auf seinen noch warmen, bebenden Leib zu urinieren, hämisch lächelnd, kichernd, wie ein Irrer in die Hände klatschend.
So viele Menschen wurden getötet…
Da kommt es auf diesen einen nicht mehr an.
Er hatte ohnehin sein Leben verwirkt, mit jedem Schuss dem Teufel gehuldigt, mit jedem Mord auf Christus gespuckt, so viele Male dass er aufhörte zu zählen, und dann auch aufhörte dabei etwas zu empfinden…

Mit dem Ersten fiel der Glaube, die Begeisterung, zehn Treppen tief, und schlug unbarmherzig auf. Mit dem Zweiten wich der Schock der Scham, dann die Scham dem Entzücken, das Entzücken der Trauer, die Trauer der Routine, die Routine der Gleichgültigkeit…
Was blieb war das Fieber, die Angst.
Doch auch sie unterzog sich einem Wandel.
War sie zuerst noch die Angst sich verantworten zu müssen, vor Gott, vor seinen Eltern, vor der Witwe und den Waisen seiner Opfer, so höhlte sie sich mehr und mehr aus bis sie innen nur ein dunkles Vakuum war und außen blank, blank poliert, so dass er jedes Mal wenn er sie erblickte nur ein verzerrtes Spiegelbild seiner selbst sah, eine Fratze, fremd und unheimlich, mit weiten, starren Augen und aufgerissenen
Nüstern, zur Unkenntlichkeit entstellt…
Es war nicht viel das ihm vom Leben blieb, getränkt in Tod und Verderben, jeder Blick aus den gesichtslosen Augen der gefallenen Feinde riss etwas von ihm mit sich, trug ihn ab, bis auf die Knochen, und sein Herz schlug nur im Rhythmus der einschlagenden Schrapnells, ein mal in der Sekunde und dann setzte es wieder aus, für Minuten und Stunden, während er dalag und sein Gewehr umklammerte, als sei es das einzige in dieser Welt was noch real war, das einzige was einen Sinn ergab…
Er klammerte sich fest an das was ihn peinigte und obwohl er längst vergessen hatte wie es aussieht, schmeckt und riecht, wie es sich anfühlt lebendig zu sein wollte er nur noch eins. Leben… Überleben… Und so kroch er weiter durch den Schlamm, warf mehr Granaten, verschoss mehr Magazine, vergaß woher er kam und was er hier sollte, verlor den Sinn für Raum und Zeit und schließlich seinen Namen.

Kaum noch dachte er daran was der Feind in ihm sah, ob er sich fürchtete und heimlich weinte wenn keiner ihm zusah, ob auch er vergessen hatte wofür oder wogegen er kämpfte…
Es spielte alles keine Rolle mehr.
Das hehre Ziel, der Ruhm und die Ehre waren nicht von Bedeutung, es gab nichts mehr zu erobern oder zu verteidigen, hier, tausende Kilometer fern der Heimat, in der die Initiatoren dieser Gemetzel an ihren vollen Tafeln speisten und tranken,
und sich derweil neue Gründe, neue Rechtfertigungen für ihr unaussprechliches Verbrechen gegen die Menschheit ausdachten.
Menschlichkeit war nicht ihr Metier…
Nie kam einer von denen hierher um zu schauen was sie angerichtet hatten, um zu schauen wer den Dreck vor ihrer Türe auffegte…
Und als er dann den Orden überreicht bekam, als einziger seiner Kompanie der nicht verletzt oder verstümmelt wurde, weil er sich bis zum Kinn im Dreck eingegraben hatte um dem Sturm der Gegenseite zu entgehen, da wusste er nicht ob es Lob, Hohn oder Strafe war die er dadurch erlangte…
Dann schickten sie ihn nach Hause, ein gebrochener, alter Mann, keine zweiundzwanzig Lenze zählend, mit dem ersten Schuss zum Mann gereift,
dann zum verstörten Greis, frei von Hoffnung, Leidenschaft und Träumen, zurück in eine Welt die ihm fast fremder war als seine Jugend…

Man überschüttete ihn nicht mit Lob.
Man klopfte ihm zaghaft auf die Schultern, schaute dabei auf seine schmutzigen Stiefel, und schon bald darauf wollte man mit seinesgleichen nichts mehr zu tun haben.
Sicher, es war auch die Scham vor der Niederlage, die stille Wut gegenüber denen die sie nicht abwenden konnten, doch mehr noch war es die Furcht vor dem eigenen Spiegelbild.
Das ganze Land war traumatisiert, auch die, die nicht auf den Schlachtfeldern gestanden hatten, die nicht den Gestank von faulem Fleisch und schwarzem Blut mit sich trugen, waren wie gelähmt, ja, paralysiert…
Während er für Wochen, täglich, versuchte seine Hände von Blut zu befreien, mit Seife, Säure und Drahtbürsten, verlor man draußen auf den Straßen kein Wort mehr über den Krieg.
Die stark versehrt Zurückgekehrten wurden in kleinen, fensterlosen Kammern gehalten, wie gestutzte, einäugige Vögel in Käfigen, über die man ein grobes Tuch legte um nicht in seinem Alltag gestört zu werden.
Alles ging seinen Weg…
Die Nahrung war knapp und die Lieder sehr leise, fast unhörbar, und obwohl das Echo der Märsche noch in allen Gassen lauerte tat jeder so als wäre nichts geschehen.
Er brauchte lange, sehr lange, um zu erkennen dass er dort auf den Feldern seinen Tod gefunden, dass er den Kampf um die bleiche Kopie seines einstigen Lebens längst verloren hatte.
Er fing wieder an zu arbeiten, zunächst als Erntehelfer, dann in Steinbrüchen und Gießereien, doch das einzige wovon er etwas verstand war das Töten, und so nahm er letztlich eine Stelle im örtlichen Schlachthof an.

Auch er vergaß den Krieg, und so konnte er sich die furchtbaren Stiche in der Herzgegend nicht erklären, die ihn durchdrangen, jedes Mal wenn er den Bolzenwerfer anlegte und abdrückte.
Um dem Nichts, das ihn erfüllte, zu entgehen, ging er nach der Arbeit in billige Spelunken und kehrte erst heim wenn er den letzten Pfennig seines Tagelohns versoffen hatte.
Doch auch dabei fühlte er kaum mehr als Leere…
Vor und hinter ihm klaffte eine bodenlose, schwarze Kluft, unter ihm rot-braun verschmierte Fliesen, keine zwanzig Zentimeter in Länge und Breite.
Wenn er nicht trank überfielen ihn Schübe von Verzweiflung, Tränen und Erbrochenem, Angst und Muskelkrämpfen.
Ein Arzt gab ihm fünf Tabletten und den gut gemeinten Rat sich ausgiebig schlafen zu legen.
Ausgiebig, ja, so kann man sagen, würde er nun schlafen…
Doch auch dieser Witz, diese Ironie, konnte ihm kein Lächeln mehr entlocken.
Dafür war es nun zu spät, oder zu früh, jetzt wo nichts mehr galt, wo auch sein eigenes Leben nicht mehr gültig war, jetzt an der Schwelle seiner Erlösung oder am Beginn seiner Höllenqualen…
Die Welt tropfte zäh durch die Ritzen seiner maroden Fenster, wie ein Ruf drang sie in ihn, er stand auf öffnete sie, schaute hinab auf die Menschenmassen die sich auf den Straßen versammelt hatten, seine Leute, sein Volk, vereint in Euphorie, die Arme steif gen Himmel gerichtet, leuchtende Augen und wallendes Haar…
Dann sah er den Wagenzug um die Ecke kommen, an seiner Spitze eine schwarz glänzende, offene Limousine.
Ein Mann stand auf dem Rücksitz und ließ sich feiern, brüllte sinnlose Dinge die im Rauschen der Menge untergingen, hob seinen Arm zum Gruß und blickte eisern, ohne Furcht in die Zukunft.
Er hatte von ihm gehört, von den Veränderungen die er mit sich brachte, die Kraft die er versprühte, die das gesamte Volk aus ihrer Lähmung und Lethargie riss.
Es waren diese Neuigkeiten die auch ihn von seiner Starre befreiten, die sein ganzes Leben über ihn stülpten, die Erinnerungen zum Vorschein brachten und ihn dazu zwangen die letzte Konsequenz daraus zu ziehen.
Jetzt sprachen wieder alle vom Krieg, doch dieser war nicht der seine, nicht der, der ihn zu dem gemacht hatte der er heute war.

Die Zeit dreht sich rückwärts, dachte er, die Geschichte wiederholt sich fortwährend, und alle sind taub und blind sie zu verstehen…
Der Wagen rückte näher, war nun fast unter seinem Fenster, er hob die Pistole, wie er es damals gelernt hatte, atmete ein, hielt den Atem, ein Auge zugekniffen, über Kimme und Korn peilend, einen leichten Schlag nach rechts und oben gebend, darin war er gut, das war sein Metier…
Dann drückte er ab.
Der Mann fiel schneller als das Blut, dass aus seinem Kopf spritzte, fiel wie in Zeitlupe, minutenlang, und alle Menschen auf der Straße verstummten.
Ein sanfter Wind flog ihm ins Haar und kitzelte seine Stirn, ein Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht, er ließ die Waffe sinken und atmete aus.
Wie im Traum stieg er auf das Fenstersims und breitete die Arme aus, seine Züge entspannten sich, in seinen Augen blitzte für einen Moment Freude auf, bis er sie friedlich schloss.
Dann ließ er sich fallen.

Er fiel, zehn Treppen tief, und schlug unbarmherzig auf.
Sein Blut verströmte in alle Himmelsrichtungen, über die Köpfe der Menge hinweg, und verschmolz mit dem seines letzten Opfers.
Sein Leben war ein einziges, langsames Sterben.
Sein Tod, jedoch, war nicht vergebens.

 

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